• Horst Schollmeyer

Horst Schollmeyer

N+Stifter im Gespräch

17. Jun. 2011 –

Bereits zwei Mal hat Malermeister Horst Schollmeyer ein Fest zu Gunsten des Projekts Neuköllner Talente ausgerichtet. Die Zukunft der Kinder und Jugendlichen liegt ihm besonders Herzen. Für sein Engagement als sozial verantwortlicher Unternehmer erhielt er die Franz-von-Mendelssohn-Medaille. Dr. Kurt Anschütz sprach mit Horst Schollmeyer über sein Unternehmen und sein gesellschaftliches Engagement.

 

Kurt Anschütz: Herr Schollmeyer, vielen Dank, dass Sie sich mitten im Arbeitstag Zeit nehmen für unser Gespräch! Beginnen wir gleich auch mit Ihrer Firma, dem Malereibetrieb Horst Schollmeyer - Sie haben da ja ein großes Betriebsgelände!

 

Horst Schollmeyer: Wir sind mit der Zeit gewachsen. Zuvor waren wir über verschiedene Standorte verstreut. Aber seit zehn Jahren haben wir uns nun an diesem Standort in der Säntisstraße in Marienfelde konzentriert. Wir wohnen jedoch seit 24 Jahren im Süden Neuköllns, in Buckow. Wir arbeiten mit 120 Beschäftigten von Frühjahr bis November, 50 davon arbeiten auch in den Wintermonaten; die anderen finden sich dann zu Beginn der Saison wieder ein.

 

Ich habe gehört, dass Sie die Fassade des „höchsten Wohngebäudes von Berlin“, das von Gropius erbaute Hochhaus der Baugenossenschaft IDEAL in der Fritz-Erler-Allee, erneuert haben. 33 Stockwerke!

 

Ja, wir setzen nicht nur Wohnungen instand, sondern übernehmen auch große Aufträge aus der Wohnwirtschaft und aus dem öffentlichen Bereich. Der Markt ist nicht einfach. Aber was sich auf Dauer durchsetzt, ist dann doch die Qualität und die Verlässlichkeit. Ich bin seit mehr als 30 Jahren selbständig, der Betrieb ist durch Empfehlungen gewachsen.

 

Ganz normal

 

Von Anfang an haben Sie sich auch gesellschaftlich engagiert. Sie haben das in aller Stille getan. Nun aber sind Sie im vergangenen Jahr öffentlich geehrt worden. Die Berliner Wirtschaft vergab an Sie die Franz-von-Mendelssohn-Medaille. Unter 42 Bewerbern wurde Ihnen der erste Preis zuerkannt.

 

Wir waren der erste Handwerksbetrieb überhaupt, der so ausgezeichnet wurde. Ich war überrascht. Denn was ich tue, finde ich ganz normal.

 

Die Handwerkskammer und die Industrie- und Handelskammer waren anderer Ansicht. Sie haben in ihrer Begründung vor allem darauf abgestellt, dass Sie „gezielt sozial schwachen und drogenabhängigen Jugendlichen eine Ausbildungschance geben.“ Sie haben Verantwortung übernommen – und zwar nicht durch Spenden und durch Sponsoring, sondern durch Ihr Unternehmen selbst.

 

Es hat sich so ergeben. Es begann mit einem, der auf eine Chance angewiesen war. Und dann kamen andere. Wir wuchsen da so hinein. Natürlich kostet das viel mehr Zeit, als wenn wir uns nur diejenigen Lehrlinge aussuchen würden, die am fittesten sind. Denn die individuelle Förderung ist halt einfach aufwändig – da muss man viel zuhören, oft Ratschläge geben, immer wieder Mut machen und überlegen, wie gewisse Schwächen gezielt bearbeitet werden können und darauf schauen, dass die Nachhilfe auch Ergebnisse bringt. Aufmerksam dabei sein und immer auch hinterher sein, darum geht’s. Aber ich gehe ja nicht leer aus. Meine Genugtuung ist, wenn die Bengel nach drei Jahren mit ihrem Gesellenbrief ankommen! Das ist dann auch mein Erfolg.

 

Ich dachte, Sie würden vom unternehmerischen Risiko reden, stattdessen reden Sie familiär.

 

Es geht ums Vertrauen. Wollen wir uns vertrauen? – das ist die entscheidende Frage. Und das funktioniert. Nach der Preisverleihung kamen die Medien. Das ging mir zu weit. Denn ich will doch nicht Defizite öffentlich vorführen, sondern mir geht es um die Stärkung der Jugendlichen. Und wenn die Jungens befürchten müssten, dass ich sie benütze, dann wäre es aus. Darum habe ich die Anfragen abgelehnt. Risiko? In den vielen Jahren bin ich nur ganz selten enttäuscht worden. Und mit vielen Ehemaligen haben wir noch heute Kontakt. Die Mitarbeiter ziehen mit, sind auch stolz, dass wir uns kümmern. Das schafft jene Atmosphäre, in der auch Schwächere sich gut entwickeln können. Soweit dazu.

 

Sie kooperieren auch mit vier Neuköllner Schulen, Sie stellen die dringend benötigten Praktikumsplätze zur Verfügung; aus unserem N+Mentorenprojekt wissen wir, wie rar gute Plätze sind.

Dann bin ich ärgerlich

 

Das ist mir wichtig, dass die Schüler einen lebendigen Kontakt zum Handwerk bekommen. So viele haben ja völlig illusorische Berufspläne, wollen Pilot oder Arzt werden. Handwerkliche Berufe kommen in ihren Träumen eher nicht vor. Da ist dann ein vierwöchiges Praktikum gut, da können sie entdecken, dass vielleicht auch ein Handwerk Freude machen könnte. Es ist doch so wichtig, dass die jungen Leute eine berufliche Perspektive bekommen.

 

„Wieso soll ich mich in der Schule anstrengen? Ich werde ja doch Hartz IV …“

 

Ja, das höre ich auch oft. Und da liegt doch das eigentliche Problem: Ein junger Mensch braucht Arbeit! Wenn ich höre, wie die Leute oft reden: „Guck Dir doch mal an, wie sie herumlungern!“, dann bin ich gleich ganz ärgerlich. Denn wie ist es in der Wirklichkeit? Die meisten Jugendlichen finden doch deshalb keine Lehrstelle, weil die Betriebe eben nicht genug anbieten. Dann haben sie Frust zu Hause, weil sie keine Arbeit bekommen, dann bewerben sie sich 50 mal ohne Ergebnis, das gibt dann wieder Frust, weil sie erkennen müssen, dass sie nicht gebraucht werden.

 

Sie können im Wettbewerb nicht mithalten.

 

Solange die Kinder und Jugendlichen Deutsch so lernen, als ob es eine Fremdsprache wäre, haben sie keine Chancen. Damit wir hier endlich vorankommen, brauchen wir die Schulen. Und natürlich brauchen wir auch die Eltern. Meine Meinung ist: Wer Unterstützung vom Staat bekommt, der hat eine sozialpolitische Aufgabe zu erfüllen, gerade auch an den eigenen Kindern! Es darf nicht sein, dass Jugendliche den Eindruck haben, sie kommen ohne Arbeit durchs Leben: mit Sozialleistungen, die sie sich schwarz durch Nebenbeschäftigungen noch ein wenig aufbessern, so wie sie das bei ihren Eltern erlebt haben. Das ist die große Aufgabe: hier endlich einzugreifen. Aber das kann eigentlich nur die Politik machen. Ich sehe leider gar nicht, dass da die Probleme angepackt werden.

 

Resigniert?

 

Dass ich die Welt nicht retten kann, ist mir schon klar. Aber das ist doch unser Land, und das sind unsere Kinder! Wir können da doch nicht zusehen! Wenn jeder ein bisschen was machen würde, käme schon etwas raus. Ja, jeder sollte etwas machen.

 

Sie machen über die Ausbildung hinaus ja noch mancherlei anderes. So unterstützen Sie die Jugendmannschaften mehrerer Sportvereine. Und auch bei der Bürgerstiftung engagieren Sie sich vor allem beim Talente-Projekt.

 

Da geht’s ja auch um Chancen für Neuköllner Kinder und Jugendliche. Ich wurde von Herrn Abraham von der Baugenossenschaft IDEAL angesprochen. Sie unterstützen das Talente-Projekt, und er schlug mir vor, dass wir uns da doch gemeinsam engagieren könnten. Da hatten wir die Idee mit einem vorweihnachtlichen Fest für unsere Kunden. Wir haben auf unser Gelände zu Glühwein und Rostbratwürsten eingeladen, und alle Gäste wurden gebeten, doch eine Spende mitzubringen. Das hat gut geklappt. Im ersten Jahr hatten wir 3.600 Euro, im vergangenen Jahr kamen wir auf 6.000 Euro. Wir sind also deutlich besser geworden.

 

Es ist allerdings nicht nur das viele Geld, das Ihnen wichtig ist, Sie wollen auch Bewusstsein schaffen. In Ihrer Einladung haben Sie letztes Jahr geschrieben: „In Deutschland wird häufig von sozialer Kälte gesprochen, Neukölln gilt als der Problembezirk der Nation, doch aus den Patenschaften des Talente-Projektes gibt es herzerwärmende Geschichten zu erzählen.“

 

Ja, einige Paten waren da, sie haben erzählt. Und vier Kinder haben gezeigt, was in ihnen steckt: Gesang, Tanz, und ein Dreizehnjähriger hat ein technisches Werkstück vorgeführt, das er zusammen mit seinem Paten und nach vielen gemeinsamen Besuchen im Technikmuseum zuwege gebracht hatte – eine Insel mit Einkaufszentrum, Autokino und Flugzeug, und das Ganze wurde durch einen Elektromotor betrieben! Wir haben gestaunt, was da geleistet wird! So vieles wäre möglich, wenn …! Also, ich bleibe da dran.

 

Auf mehrere Schultern verteilen

 

Was ich so schön finde: Sie haben mitten aus Ihrer Kundenkartei heraus einfach eine Mitmach-Aktion erfunden und selbständig durchgeführt. Solche Ideen braucht das Land!

 

Meine Erfahrung ist: Wenn man etwas macht, muss man es auf mehrere Schultern verteilen, dann ist es besser. Aber wenn ich Sie auf 5.000 Euro anspreche, dann gehen Sie um die Hausecke, wenn Sie mich das nächste Mal kommen sehen. Der eine hat 20 Euro gegeben, ein anderer einen Tausender – für mich ist das Wichtigste: Alle haben sich vier Stunden lang schön vermischt, und alle haben mitgemacht. Das Weitere kann sich nun finden.

 

Die Bürgerstiftung versucht, für dieses Talente-Projekt eine langdauernde Finanzierung zu finden. Das ist bei der sogenannten „Förderlandschaft“, in der nur äußerst selten über drei Jahre hinaus gedacht wird, ganz schwierig.

 

Wichtig ist aber doch gerade die Kontinuität. Die Bürgerstiftung müsste für ihre Arbeit viel mehr öffentliche Unterstützung bekommen. Unheimlich wenig wird da getan, das ist jedenfalls mein Eindruck. Und ich engagiere mich auch deshalb und werbe für die Neuköllner Stiftung, weil hier das Geld sinnvoll verwendet wird. Die Spenden kommen an, keiner bereichert sich. Da habe ich anderswo schon ganz anderes erlebt! Also, sie muss noch größer werden!

 

Sie haben vorhin sehr familiär über Ihre Firma geredet. Nachdem ich zugehört habe, finde ich das auch stimmig. Wie kommt’s?

 

Das kommt aus dem Leben. Ich wuchs nicht allein auf, sondern meine Eltern waren für mich da, und meine beiden Geschwister waren da. Ich bin kurz nach dem Krieg in der Lausitzer Straße in Kreuzberg groß geworden: Wir waren Untermieter bei meiner Tante, zuerst hatten wir nur ein einziges Zimmer. Meine Eltern gingen arbeiten, wir Kinder waren den ganzen Tag draußen. Aber wir wussten, wo wir hingehörten. Und der Zusammenhalt ging auch über die Familie hinaus: Das ganze Mietshaus hielt zusammen! Als Kinder konnten wir überall eine Stulle bekommen. Und wenn jemand Geburtstag hatte, dann stand die Wohnungstür für alle offen, und alle kamen vorbei und tranken ein Schnäpschen. Heute kennen Sie noch nicht mal Ihren Nachbarn. Was ich aber noch immer bedauere: Ich konnte nie zu Hause spielen, immer nur Prinzenbad und Straße. Wir hatten einfach keinen Platz. Nach der Hauptschule habe ich dann eine Malerlehre gemacht, Meister bin ich seit 1975.

 

Ihre Eltern? Hatten sie eine Botschaft fürs Leben?

 

Vater war Schmied, er hat bei der Reichsbahn gearbeitet, später dann in einem Westberliner Unternehmen. Mutter war Wäscherin. Eine Botschaft gab’s schon: Wir sollen jeden Menschen so behandeln, wie wir von ihm behandelt werden wollen. Beide hatten ein Gerechtigkeitsempfinden. Mein Vater hatte kommunistische Ideale. Aber sie wussten, dass der Mensch ein Raubtier ist. Beide haben sich ihr Leben lang bemüht und gekümmert. Sie sind Vorbilder. Und deshalb kam es bei mir dann auch zum Familienbetrieb. Wichtig ist, dass man füreinander da ist und dass die Leute sich auch darauf verlassen können, dass sie ihren Lohn bekommen. Was für mich übrig bleibt, reicht gut.

 

Ein früher Traum nach vorn?

 

Traum nicht, aber ich hatte ein unglaubliches Erlebnis, ich war gut 20 Jahre alt. Wir kamen abends aus dem Kino heraus, der Kudamm war schneebedeckt. Ganz hell. Da fuhr ein neuer Jaguar E vorbei. Mit offenem Verdeck. Am Steuer saß ein älterer Herr mit Wintermütze, eine Frau saß daneben: Mit Pelzmütze. Das Auto fuhr nicht, es schwebte auf dem weißen Schnee. Da sagte ich zu meiner späteren Frau: „Du, wenn alles gut geht, dann haben wir das später auch einmal.“ Das war ein unglaubliches Erlebnis für mich.

 

Ist das der, der vor der Tür steht?

 

Meine Frau erzählt, dass ich als Malerlehrling immer einen Spruch hatte: „Es bleibt nicht so, wie es ist! Wir ändern das.“

 

Danke, dass Sie nicht abgehoben haben!

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