• Rayan Abdullah

Rayan Abdullah

N+Stifter im Gespräch

30. Jun. 2011 –

Er ist der Erfinder von "N+". Professor Rayan Abdullah kam über das Arabische Kulturinstitut (AKI) zur Bürgerstiftung Neukölln und unterstützt seit ihren Anfängen den öffentlichen Auftritt der Stiftung sowie die Weiterentwicklung der "Marke N+". Dr. Kurt Anschütz sprach mit dem gebürtigen Iraker, der 1982 nach Berlin kam, heute an der Leipziger Hochschule für Grafik und Buchkunst lehrt und die Deutsche Universität in Kairo mit aufbaut. Lesen Sie nachfolgend das Interview mit Professor Rayan Abdullah:

 

Dr. Kurt Anschütz: Herr Professor Abdullah, Sie sind ein universeller Mensch, Sie könnten uns die Welt erklären. Aufgewachsen im Irak und Wahldeutscher seit dreißig Jahren, beraten Sie weltweit operierende Unternehmen bei der Marken-Entwicklung. Sie sind Professor in Leipzig und gleichzeitig sind Sie des Öfteren in Kairo unterwegs, wo Sie ebenfalls unterrichten. Der Bürgerstiftung haben Sie vor sieben Jahren das Logo gestiftet, und seither gestalten Sie unseren öffentlichen Auftritt und schenken uns das gesamte Design. Dessen Kern besteht aus zwei Zeichen. In diesem Gespräch möchte ich Sie nach dieser Verdichtung fragen: Was ist N+?

 

Prof. Rayan Abdullah: Vor der Verdichtung steht die Vielfalt des Lebens. Nehmen wir uns also Zeit. Ich komme aus der zweitältesten Stadt der Welt. Älter ist nur Babylon. Ich bin in Ninive aufgewachsen. Darauf bin ich sehr stolz. In Ninive haben 21 Propheten gelebt. 25 Religionen waren dort zu Hause. Rechts von uns wohnten Christen, links Jesiden, gegenüber Kurden, wir selbst waren Muslime. Wir waren alle miteinander befreundet, und wenn eine Familie ihre Feste feierte, feierten alle mit. Ninive: eine irre lebendige Stadt.

 

Von Ninive nach West-Berlin

 

Aus dieser Vielfalt kamen Sie mit 23 Jahren nach West-Berlin. Aus der sozialen Fülle in die Vereinzelung?

 

Mein Weg in Deutschland wurde ein offener Weg für mich. Als ich 1982 ins Studentenwohnheim der Evangelischen Akademie am Wannsee kam, war ich der erste Muslim dort. Ich fragte, ob das denn nicht problematisch sei. Pfarrer Maechler, der das Haus leitete, sagte: „Aber nein, wir sind sehr interessiert am Austausch.“ Es war tatsächlich so. Wir verbrachten viele Abende im Gespräch miteinander und mit anderen Studierenden. Diese Offenheit habe ich von Anfang an gespürt. Ich habe zweimal studiert: Kulturpädagogik und Visuelle Kommunikation. Seither arbeite ich mit diesem Wissen, welches ich damals an der Hochschule der Künste lernte. Ich habe hier also meinen Anfang bekommen. Dafür bin ich sehr dankbar.

 

Das klingt nach Bilderbuch …

 

Nein. Jahrelang habe ich in Deutschland eine Brücke zu meiner eigenen Kultur gesucht: wie beides verbinden? Am Anfang habe ich immer gehört: „Ausländer müssen sich integrieren.“ Ich war deshalb der Ansicht, dass die anderen mir diese Brücke schlagen müssten. Aber niemand hat mir gesagt, was nach der Integration zwischen mir und Deutschland passieren soll. Dann entdeckte ich: Ich selbst muss die Brücke schaffen.

 

Die Pfeiler sind das viertausendjährige Ninive und das heutige Leipzig, und durch Ihre Arbeit in Kairo verbinden Sie beide?

 

Ja, so ist es jetzt geworden. Seit Jahren baue ich in Kairo die Deutsche Universität mit auf. Ich wurde Gründungsdekan der Fakultät für Design, und dieses Jahr werden wir die ersten Absolventen haben. Es gibt mehrere ausländische Universitäten in Kairo, die deutsche ist allerdings ganz schnell zur erfolgreichsten geworden: 8400 Studierende, 1500 Mitarbeitende! Und die Patenschaft, die unsere Leipziger Hochschule für Grafik und Buchkunst HGB übernommen hat, funktioniert hervorragend. Inzwischen sind wir dabei, ein Zentrum für die ägyptischen Studierenden in Berlin zu errichten, sie sollen mindestens zwei Semester bei uns hier Praktikum machen und studieren. Deutsch lernen sie an der Uni in Kairo. Diese Arbeit macht mir große Freude, denn ich habe eine Brücke hergestellt zwischen zwei Hochschulen und unterschiedlichen Kulturen. Und zugleich ist dies meine eigene Brücke: die Brücke zwischen meiner Ursprungskultur und meiner Identität als Wahldeutscher. Ich wurde bereichert, und nun bereichere ich zurück. Ich kann mein Bestes geben.

 

Ein Zeichen für die Vielfalt

 

Ursprungskultur: Niemand kommt mit leeren Händen. Als Sie nach Deutschland kamen, brachten Sie ein großes Geschenk mit – Ihre Kunst der Kalligraphie.

 

Das stimmt. Ich liebe die Schrift. Buchstaben haben mich immer fasziniert, sie sind nicht Bestandteile, sondern sie sind Individualitäten und das Ganze zugleich. Und wenn das Zusammenkommen von Buchstaben gelingt, ergibt sich eine wunderschöne Ästhetik! Ich konnte als Designer und Markenbauer nur deshalb so erfolgreich werden, weil meine professionelle Modernität auf dieser jahrtausendealten arabischen Kunst beruht.

 

N+

 

Ja, also N+, ein Buchstabe und ein mathematisches Zeichen. Verdichtung ist nicht Reduktion, sondern Konzentration auf das, was Sie wirklich sind und wirklich wollen. Bevor ich der Stiftungsinitiative dieses „N+“ vorschlagen konnte, musste ich viel recherchieren über Ihre damaligen Projekte und Zielvorstellungen. Ich selbst war ebenfalls ehrenamtlich in Neukölln engagiert, ich war Vorsitzender des Arabischen Kulturinstituts. Dr. Nazar Mahmood, unser Geschäftsführer, war der erste, der mich auf Ihre Arbeit aufmerksam gemacht hatte. Ich fand, dass die damals zwanzig oder dreißig Engagierten genauso dachten wie ich selbst: Die Fülle an Mentalitäten, an Nationalitäten sehen auch sie als eine große Bereicherung für Neukölln. Neukölln ist ein „Brennpunkt“, aber für mich sind Probleme nie eine Last, sondern immer eine vorantreibende Chance, weiter nach vorne zu kommen. Wir Menschen haben alle einen Hintergrund von lang her. Deshalb kann ein Verständnis nur hergestellt werden, wenn wir bereit sind, uns auf andere Kulturen einzulassen und Grenzen zu überschreiten. Dann kann man gemeinsam aus der Viel-Identität etwas Neues gestalten. Ja, die enorme Vielfalt sehe ich als große Bereicherung. So dachten auch die Leute aus der Bürgerstiftung. Menschen, die geben, sind tolle Menschen. Deshalb wollte ich sie mit einem Plus kennzeichnen.

 

Nun bin ich verblüfft. Ich dachte die ganzen Jahre über, dass das Plus unseren Anspruch reflektiert, den wir schon in unseren ersten Monaten ganz selbstbewusst so formuliert hatten: „Wir wollen einen Mehrwert schaffen“. Sie aber wollten signalisieren: „Der Mehrwert seid Ihr selbst!“

 

Hatten Sie das nicht begriffen?

 

Vielleicht sind wir alle doch preußisch-protestantisch strukturiert: Leistung vor allem?

 

Ich vertrete Großzügigkeit. Das ist eine umfassende Kunst. Geben ist enorm wichtig für die Seele, sie freut sich, wenn ich schenke. Aber unsere Seele braucht auch Aufmerksamkeit und Dank. Es ist deshalb wichtig, dass man sich selbst honoriert und sagt, dass man stolz ist auf sich. Das Plus ist mein Geschenk an die Stifter. Vielleicht noch ein Bild: Wir haben soviel Vielfalt in Neukölln: durch Sprache und Kommunikation, durch Erscheinen und Verhalten. Vielfalt ist wie Wasser: Es muss in einen Fluss kommen, und dann fließt es. Die Stiftung bringt eine Gemeinsamkeit zwischen die Menschen. Da kann sich dann etwas bewegen, ganz ins Weite hinein. Darum setze ich Ihnen ein +.

 

Einige von uns fürchteten, dass hier ein kulturelles Missverständnis angelegt sein könnte: das Plus als Kreuz.

 

Das sah ich nicht. Im Übrigen hätte sich dann ein öffentlicher Austausch über den Kern der Stiftung führen lassen: Das Plus ist die Vielfalt!

 

Wir rangen um die Farbe. In dem eineinhalbstündigen Markenbau-Gespräch mit Ihnen plädierten Frau Dr. Kolland und ich für grün. Sie wollten rot. Wir einigten uns auf Orange.

 

Ich sehe Großzügigkeit bei der Bürgerstiftung. Diese Wärme wollte ich unbedingt wiedergeben. Orange ist enorm warm und spiegelt deshalb Ihre Identität. Und da orange nicht belegt war, war ich einverstanden.

 

Stolz auf Neukölln

 

Unmittelbar einleuchtend erschien uns das N.

 

Eine klar visualisierte Sprache war nötig, darum die Konzentration auf nicht mehr als zwei Zeichen. Der Buchstabe steht für Ihren Stolz auf Neukölln. Es ist nicht falsch, stolz auf einen Ort zu sein. Es ist falsch, wenn man ihn nicht liebt.

 

N+ hatte dann gleich soviel Kraft, dass wir das Logo überall sehen und zeigen wollten: Schnell hatten wir Buttons, dann die wunderschönen Kaffeebecher und die Flaggen, bald darauf eine selbstironische Adresse: „neukoelln minus plus.de“: Im letzten Jahr hatten wir die Jubiläumsschrift, und seit Jahren verkaufen wir unseren Kalender – und das alles haben Sie uns immer wieder neu aus dem Kern heraus entwickelt. Unsere Stifterschar hat N+ von Anfang als evident angenommen. Irgendwie war es sofort das Eigene.

 

Dafür bin ich sehr dankbar, und deshalb bin ich auch an der Seite der Bürgerstiftung geblieben und betrachte mich als verantwortlich dafür, dass die Marke fortlebt und wächst, dass sie sich bewegt.

 

Faszinierend war, wie rasch auch die Öffentlichkeit unseren Markenkern angenommen hat: Überall wurde plötzlich von „Nplus“ gesprochen. Der Name „Bürgerstiftung Neukölln“ und „Nplus“ wurden austauschbar. Und mit zum Bewegendsten der ersten Jahre gehört, dass immer wieder fremde Menschen sich „unseren“ Button ansteckten, als hätten sie darauf gewartet. Die Stiftung als Brücke, ihr Zeichen als Fluss …

 

Dass wir in wenigen Jahren so weit gekommen sind, wäre anderswo kaum machbar gewesen. Aber die Wirkung muss immer wieder neu von uns Allen geschaffen werden. Denn die „Marke Bürgerstiftung“ lebt ja aus drei Faktoren: 1. Identifikation: Wir wissen, wie wir von uns reden, der Name verrät alles. 2. Differenzierung: Wir unterscheiden uns von anderen durch die Werte. Wir sind 165 Nationen und wollen, dass Neukölln gerade durch diese Fülle seine Zukunft schafft! 3. Profilierung: In allem, was wir tun, arbeiten wir dafür, dass möglichst viele Menschen dieses Angebot der Vielfalt annehmen, lieben und täglich leben.

 

Im Leben einer Stiftung gibt es Schlüsselsätze. Einer stammt von Ihnen. Dass ausgerechnet Sie sich so stark mit uns identifizierten, hatte uns natürlich sehr beeindruckt. Denn Sie kamen von Bugatti her und hatten gerade den Bundesadler im Rahmen Ihrer Arbeit bei Metadesign freundlicher gestaltet. Umso dankbarer waren wir für Ihre Großzügigkeit. Sie aber sagten. „Was für Zehlendorf das Beste wäre, ist gerade gut genug für Neukölln.“ Gegen die Versuchung der Neuköllner Selbstabwertung war das ein notwendiges Gegengift. Darum fiel Ihr Satz nicht ins Vergessen.

 

Erst mal dies: Dass wir immer mehr Menschen von außerhalb Neuköllns haben, die sich bei uns engagieren, das ist nicht wenig, und darauf können wir stolz sein. Sie investieren Geld und Zeit bei uns, weil sie der Neuköllner Vielfalt eine Chance geben wollen. Sie haben begriffen, dass sich für Berlin und Deutschland viel entscheidet am Brennpunkt Neukölln. Man muss ja nur lesen, was Herr Doderer im Stiftergespräch zu seiner Motivation und zur Motivation der Freimaurer gesagt hat. Mir ist aber noch etwas anderes wichtig: Die „Marke Bürgerstiftung“ soll eine ehrliche Marke sein.

 

N+Ehrlichkeit

 

Selbstkritisch, bescheiden …

 

… ich meine noch viel mehr. Ehrlichkeit heißt: zuhören, klärend nachfragen, wirklich begreifen, eine Lösung suchen. Dazu gehört auch die entschlossene Bewertung. Wir bewerten die Vielfalt als hochwertig, denn sie ist zukunftsentscheidend für die Stadt und für unser Land. Wenn wir die Vielfalt ehrlich so bewerten, dann muss N+ auch zum Appell werden: Dass die Politik die Chancen im Vordergrund sieht und dass es dabei zutiefst um Gerechtigkeit geht: Wir müssen die Menschen gleichwertig behandeln! Sie brauchen, und sie wollen die gleichen Chancen - nicht immer den einen mehr geben als den anderen! Ehrlich meint: gemeinsam überlegen, wie wir unsere Vielfalt so bündeln können, dass wir öffentlich noch wirkungsvoller werden. Das gehört zur N+Differenz hinzu.

 

Doch noch rot?

 

Vielfalt braucht öffentliche Wahrnehmung, Respekt und Veränderung. Der Bürgerstiftung in Neukölln ist es gelungen, eine Idee zu setzen, die nicht schon morgen umgesetzt werden kann. Die Realität hat ihre Geschwindigkeit, die oft eine Langsamkeit ist. Darum ist die Vision so enorm wichtig: unsere Vision der bereichernden Vielfalt. Wenn wir an ihr dran bleiben und uns an ihr abarbeiten, können wir gemeinsam ganz neue Energie erzeugen. Diese Energie kann überall entstehen: durch ein gemeinsames Haus, durch jedes N+Projekt, vielleicht auch durch unser Gespräch. Auf dem langen Weg können wir auch einmal Menschen oder Organisationen verlieren. Wir sollten dann jedoch die Türen möglichst weit offen halten, damit wir die Menschen, die in einer Nachdenkphase sind, nicht dauerhaft verlieren. Also: nach innen Verständnis kommunizieren, nach außen immer wieder unsere Werte übersetzen. Die Menschen müssen sich in ihren Wirklichkeiten und Prioritäten gespiegelt finden, dann werden sie sich verstanden fühlen.

 

Von Neukölln nach Ninive zurück: Die Kraft der Vision lebt auch rückblickend. Sie sind in der Stadt der religiösen Diversität groß geworden: 25 Religionen, 21 Propheten. Ich kenne nur einen davon, aber der hatte mit den 24 anderen Religionen ein Problem. Jona wollte, dass alle so glaubten wie er selbst. Deshalb wollte er seinen Gott mobilisieren. Aber der hat sich nicht ins Feld führen lassen. Stattdessen hat er versucht, seinen Eiferer mit der Stadt zu versöhnen, die Sie eingangs irre lebendig genannt haben …

 

… ja, die Vision des geglückten Zusammenlebens in Vielfalt ist uralt. Dreitausend Jahre später habe ich in derselben Stadt dann tatsächlich das Erlebnis solcher realen Bereicherung gehabt. Die Sprache der Religionen, ihre Bücher sind verschiedene, aber es geht immer um Gott – den Einen und den Weiten. Diesen Weitwinkel brauchen wir, sonst leben wir destruktiv. Die Enge bringt uns immer dazu, dass wir klein werden und irgendwann in den Krieg ziehen. Durch den Krieg sind die Christen im Irak die großen Verlierer geworden.

 

Noch einmal der andere Pfeiler im Brückenbild: Kairo. Als Wahldeutscher können Sie vermutlich besonders gut ermessen, welche Hoffnungen die jungen Menschen in Ägypten gerade auf Deutschland setzen. Ich habe einige Ihrer Kommentare gelesen und dadurch gespiegelt bekommen, wer wir offenbar in ihren Augen sind: ein Land der immensen Möglichkeiten.

 

Hoffen auf Deutschland

 

Unsere Vision der universellen Vielfalt lebt auch von seitwärts, von den Spiegelungen Nichtdeutscher ausgehend. Was für einen Blick haben wir selbst von Deutschland: Land der 600 Brotsorten? Land der besten Biere? Unsere Studierenden, die bei der Al-Schabab Revolution natürlich beteiligt sind, sehen in uns mehr: nicht nur das Land, in dem Produkte von ganz besonderer Qualität entstehen. Sondern sie sehen in Deutschland auch das Land der Freiheit. Die Mauer haben wir geschleift, und Kant hat von der Freiheit gepredigt, das ist in der Welt präsent. Da können wir uns jetzt doch nicht verstecken, wenn Menschen nach der Freiheit rufen. Meine Studierenden wissen, wer Deutschland werden könnte. Ihre Vision ist sehr konkret.

 

D+?

 

Ich sehe mich hier, und ich antworte als ein internationaler Mensch: Das ist ein offener Weg.

 

Danke für unser Gespräch!

 

Und ich danke der Stiftung, denn ich bin überzeugt: Wer N+ stiftet, stiftet Leben!

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